Bayernlexikon - Kirchbichl - Kriegsereignisse

Niederschrift über die Kriegsereignisse 1939 bis 1945 der Gemeinde Kirchbichl

Am 1. September 19J9 ging durch alle deutschen Lande die Kunde vom Ausbruch eines Krieges, der sich in seiner fast 6-jährigen Dauer zu den Grausamsten und Brutalsten der Kriege aller Zeilen ausartete und unendlich viel Leid und Armut über ganz Europa und darüber hinaus der Menschheit zufügte. Auchi unser schönes Bayerland wurde von dieser Kriegsgeisel nicht verschont, jede Stadt und Gemeinde, jedes Dorf und Gehöft hatte darunter zu leiden.

Von der Gemeinde Kirchbichl wurden nach und nach 120 Mann zum Kriegsdienst eingezogen. Nach bisheriger Todesmeldung mußten 23 hoffnungsvolle junge Männer ihr Leben lassen. Des weiteren sind 9 Mann vermißt, 4 Mann schwer verwundet und 17 Mann noch In Gefangenschaft. Durch die Einberufung dieser vorgenannten Männer machte sich ein erheblicher Arbeitermangel in der Landwirtschaft bemerkbar und so kam es, daß in der Hauptsache die Frauen mit der schweren Arbeit überlastet wurden. Es wurde zwar durch den Einsatz von Fremdarbeitern etwas Erleichterung geschaffen; es waren eingesetzt 18 weibliche und 13 männliche ausländische Arbeitskräfte, Polen, Ukrainer und Russen. Alle diese wurden gut gehalten, hatten sogar größtenteils Familienanschluß und durften sich frei bewegen. In der Gemeinde Kirchbichl waren auch während des Krieges 23 Mann kriegsgefangene Franzosen untergebracht. Vier flüchteten davon. Die Hilfspolizei, genannt Landwacht, sorgte in dieser schweren Zeit für Ruhe und Ordnung. Besondere Zwischenfälle sind nicht zu verzeichnen. Zu erwähnen ist, daß Mitte September 1944 fünf gefangene amerikanische Soldaten, die aus dem Lager Moosburg entwichen waren, von der Landwacht auf der Flucht in den Isarauen gestellt und der Polizei übergeben wurden. Mit der Ausweitung des Krieges und der Erklärung des totalen Krieges nahmen auch die Einflüge fremder Bombengeschwader ganz erheblich zu. Meist wurde auch unsere Gemeinde, unser stilles Isartal, wenn ein Angriff auf unsere schöne bayerische Landeshauptstadt München durchgeführt wurde, überflogen. Vom 12. auf 13. Juni 1944 wurden sieben schwere Sprengbomben zwischen den Häusern Hintersberg, Feichten und Koppenhof geworfen, wovon fünf explodierten, zwei waren Blindgänger. Es entstand nur leichter Gebäude- und Flurschaden. Am 12. Juli 1944 wurden in der Nähe von Unterleiten vier Sprengbomben, ca. 10 Zentner schwer und eine größere Anzahl von Brandbomben in der ganzen Umgebung geworfen. Zum großen Glück entstand wiederum nur Flurschaden. Am 15. November 1944 stürzte in der Nähe von Unterleiten ein durch Münchner Flakartillerie angeschossenes 4-motoriges Bombenflugzeug ab. Die Besatzung rettete sich durch Fallschirmabsprung und wurde gefangengenommen. Der Flugzeugführer fand mit dem Absturz der Maschine den Tod. Er ist im Friedhof zu Hechenberg beerdigt. Das Flugzeug ist total ausgebrannt. Am 18. Juli 1944 stürzte ein deutsches Flugzeug östlich von Ellbach in das Moor ab und versank. Den Flugzeugführer fand man 3 Wochen später in einem Getreidefeld tot auf. Seine Leiche wurde in seine Heimat am Rhein überführt.

Laut Gesetz wurde auch in unserer Gemeinde der Volkssturm aufgerufen und zusammengestellt. Die Begeisterung für diese sinnlose Sache war sehr minimal. Mit Beginn des Jahres 1945 nahmen die Einflüge fremder Flugzeuge an Zahl erheblich zu. Es verging fast kein Tag bzw. keine Nacht ohne Fliegeralarm. Auch von den Fronten erfuhr man nur noch von Absetzbewegungen und man glaubte an ein nahes Kriegsende. Am wenigsten dachte man daran, daß sich auch in unserem Isarwinkel noch Kämpfe abspielen sollten. Die amerikanische Armee rückte immer näher gegen München vor. Der Volkssturm mußte in aller Eile befehlsgemäß Straßen sperren und Deckungslöcher errichten. Eine Straßensprengung mußte auf Befehl von Bat.-Führer Seidl, Bad Tölz an der Bairawieser Straße in Unterteilen beim Anwesen Klein errichtet werden. Da aber der Volkssturm der Gemeinde Kirchbichl an dieser Arbeit nicht zugreifen wollte, kam von Bad Tölz eine Gruppe zu diesen Schanzarbeiten. Am Sonntag, den 29. April kam dann auf Befehl Seidls ein Sprengkommando von Tölz, welches tatsächlich, obwohl die Bevölkerung immer wieder erklärte, daß es sinnlos sei, und daß dadurch nur unsere Dörfer in Ruinen verwandelt würden, die Sprengung vollzog. Das Ergebnis war ein großer Trichter in der Straße und leichter Gebäudeschaden der umliegenden Häuser. Es kam zur Anstauung von Fuhrwerken und Autokolonnen des zurückflutenden deutschen Militärs. Unter Führung des Ortsführers Reiter mußte alles von Bairawies nach Dietramszell umgeleitet werden, wo alles drunter und drüber ging. Am Montag, den 30. April 1945 haben dann Einwohner von Unterleiten und Bairawies den großen Sprengtrichter an der Straße wieder eingefüllt und die Straße war wieder fahrbar, um den bald herankommenden amerikanischen Panzern und Fahrzeugen keinen Widerstand zu geben und unsere Dörfer vor Zerstörung zu schützen. Bei dieser Arbeit erlebte man den Durchtrieb von ca. 2000 KZ-Häftlingen aus dem KZ Dachau,  es war ein furchtbar trauriger Anblick und wir waren alle von Mitleid erfüllt. Nach Aussage der Posten waren sie schon 3 Tage auf dem Marsch, mit Holzschuhen angetan, furchtbar hungernd. Sie pflückten am Straßenrand Qras und aßen es. Der grüne Saft träufelte aus ihrem Munde, was wir mit eigenen Augen sahen. Viele kamen nicht mehr mit vor Mattigkeit, einige hatten sich von dem geschlossenen Transport schon entfernt und kamen in die Bauernhöfe, wo ihnen dann Lebensmittel und Unterkunft gewährt und somit gewalttätige Ausschreitungen ausgeschaltet wurden.

Am 30. April 1945 besetzte die SS das Dorf Ellbach zur Verteidigung Es wurden acht Flakgeschütze aufgefahren. Am 1. Mai nachmittags 1 Uhr eröffnete die SS das Feuer in Richtung Dietramszell. Infolge des unsichtigen Wetters, bei Nebel und Schneetreiben, schössen die Feinde zu kurz und bestreuten die nördliche Umgebung von Ellbach. In der Nacht zum 1. Mai 1945 um 2 Uhr nachts kamen SS-Truppen und gingen am Hang zwischen Bairawies und Hechenberg in Stellung um Widerstand zu leisten und zu kämpfen. Es wurde allen Einwohnern klar, daß sich unsere Gemeinde mit allen Ortschaften in großer Gefahr befand verwüstet zu werden, was bei der gesamten Bevölkerung große Erregung hervorrief. Am Vormittag des 1. Mai erfuhr man, daß amerikanische Truppen sich schon in Ascholding befänden. Die Spannung wuchs nun zusehends, zumal wir ja in der Verteidigungsstellung uns befanden. Es muß was getan werden dagegen sagte man hin und her, um die Gefahr zu reduzieren — aber wie und was! Da entschloß sich ein tapferer Bursche mit Namen Nikolaus Demmel, Zimmermannssohn in Unterleiten, per Rad nach Ascholding zu fahren, um mit dem amerikanischen Kommandeur in Verbindung zu treten und diesem klar zu machen, daß die Einwohner unserer Gemeinde gegen eine sinnlose Zerstörung sind, und daß sich in den Orlschaften kein deutscher Soldat mehr befindcl und nur durch schnelles Vorrücken von seilen der Amerikaner großes Unheil von unseren Ortschaften abgewendet werden könnte, bevor von der Gegenseite größere Verstärkung kommt. Nach einiger Besprechung des amerikanischen Kommandeurs mit seinen rückwärtigen Stellen, entschloß sich dieser, sogleich zu den Ortschaften Bairawies und Unterleiten vorzustoßen. Der tapfere Bursche konnte sich natürlich nur mit Dolmelscher verständigen. - Dem Burschen gaben sie zu verstehen, sich mit in den ersten Panzer zu setzen und so mitzufahren bis sich Widerstand zeige. Bis zur Bairawieser Pestkapelle konnten die amerikanischen Panzer vordringen, schon ging das Feuer los, es war so um 14.30 Uhr, da wurde die Luft ziemlich eisenhaltig. Die SS eröffneten mit ihren Pakgeschützen und sonstigen Waffen das Feuer auf die Amerikaner. Diese erwiderten das Feuer mit ihren Panzergeschützen auf die SS-Stellung. Dabei wurden in Bairawies total zerstört und weggebrannt ein größerer freistehender Stadl des Landwirts Klattenbadier mit allen Maschinen und Geräten; schwer beschädigt der Werkholzlagerschuppen des Wagnermeisters Suttner von Bairawies, ferner die elektrische Transformatorenstation stark beschädigt, an der Filialkirche größerer Dachschaden, an den übrigen Häusern geringer Gebäudeschaden. Menschenleben sind außer zwei KZ-Häftlingen, die in Unterleiten durch SS gefallen und in Hechenberg beerdigt sind, noch 12 KZ-Häftlinge, die in Ellbach durch SS gefallen sind und dort beerdigt wurden, nicht zu beklagen. Die Personalien derselben konnten nicht ermittelt werden. - Die Kampftätigkeit dauerle bis 19 Uhr. Die SS zogen sich nach Südosten zurück, die Amerikaner drangen bis zum Gilgenhof in Unterleilen vor und blieben die Nacht über dort in Stellung. Die Nacht auf den 2. Mai war noch sehr unruhig, die Ortschaften der Gemeinde Kirchbichil-Süd waren unter starkem Artilleriefeuer. Zum Qlück schlugen die Qranaten neben den Ortschaften ein und es waren nirgends stärkere Schäden zu verzeichnen. Am 2. Mai war dann starker Verkehr von amerikanischen Panzern und Lastwagen in der ganzen Gemeinde, alles nach Richtung Tölz und dem Gebirge zu. Der Volkssturm der Gemeinde Kirchbichl hat sich an den Kampfhandlungen nicht beteiligt, obwohl er den Auftrag hatte, die Zwieselbrücke zu sprengen. Dieser Befehl wurde verweigert. - Nach all diesem Geschehen kam auch der Durchzug von deutschen Versprengten und teils von der Truppe losgelösten Soldaten, die ihre Heimat in verschiedenen Teilen Deutschlands hatten und zu ihren Angehörigen heimwanderten, ohne vorher noch in Gefangenschaft zu geraten. Die Bevölkerung halle großes Mitgefühl mit diesen am Kriege unschuldigen Soldaten, die hungrig, abgehetzt und nicht zuletzt sehr enttäusdit waren. Sie alle waren aber auch dankbar für jede Gabe in Verpflegung und Quartier.

In Erwähnung zu bringen ist auch noch, daß der Kreisleiter von Bad Tölz, Franz Reichinger, an seiner Frau, den drei kleinen Kindern und der Schwiegermutter am 1. Mai 1945 im NSV-Kinderheim zu Bairawies Mord und Selbstmord verübte. Er hinterließ ein Schreiben, in welchem u. a. der Satz stand: „Es ist für mich auf der Welt kein Platz mehr, verteilt mein Vermögen," Begraben wurden diese freiwillig aus dem Leben Geschiedenen unweit des Tatortes in einer Streuwiese am 1. Mai 1945.

Nun beschließe ich meine Niederschirift in der Hoffnung, daß es uns allen vergönnt sein möge in Zukunft vor solchen schrecklichen Ereignissen verschont zu bleiben und dem Wunsch, recht bald ein freies Bayernland zu werden.

Das walte Gott!

Kirchibichl, den 10. März 1946.

Für die Richigkeit und Wahrheit
gez.: Rank, Bürgermeister


Suchbegriffe Kirchbichl

© 2015 Bayern-Portal, All rights reserved.

Sitemap | Index | Personen | Impressum

Angemeldet als: ()

Stadtgeschichte München

Login

Navigation